Bürgerhaus Leichlingen 2016


Vom 13.3. bis 28.3.2016 stellten wir zusammen mit dem Grafiker Dietmar Noworzyn im Bürgerhaus in Leichlingen unsere Arbeiten aus. Hier eine Eindruck von der Ausstellung



Laudatio


im Folgenden finden Sie den Text der Ladatio von Herrn Ernst Ohle , wiedergegeben mit Genehmigung Des LAudators.


Bürgerhaus Leichlingen 13. März 2016 Vielfalt Radach Krause Noworzyn

 

Der Titel der Ausstellung Vielfalt ist ein Versprechen und eine Herausforderung. Vielfalt ist nicht mehr und nicht weniger als das Gegenteil von Einfalt. Wenn Einfalt für die Abwesenheit von Eleganz, Gewandtheit, Witz und Weltklugheit steht, und heute eher eine Haltung oder Einstellung bezeichnet, die  mit Simplizität, Naivität, Tumbheit oder Dummheit  in Verbindung gebracht wird, ruft  Vielfalt eher die Vorstellung von einer Menge, von einem großen Angebot, von Reichtum hervor. Vielfalt – gleich wo und wann sie registriert wird -  weist auf Unterschiede hin und verspricht  Buntheit,  Verschiedenartigkeit, Vielfältigkeit, Vielgestaltigkeit. Immer verpflichtet die Feststellung oder die Behauptung von Vielfalt zur genauen Betrachtung der Details - besonders dann, wenn der Begriff im Kulturbereich verwendet wird, wo er bestens beleumundet ist und großes Ansehen genießt.  Die Vielfalt eines kulturellen Angebotes ist in jeder Stadt, jeder Region, jeder Einrichtung  immer Grund zum Stolz und ein schützenswertes Gut. Den Vereinten Nationen gilt kulturelle Vielfalt als Quelle des Austauschs, der Erneuerung und der Kreativität –  sie ist für die Menschheit ebenso wichtig wie die biologische Vielfalt für die Natur.

 

Im globalen Kontext  darf kulturelle Vielfalt als wesentliche Ressource menschlichen Lebens begriffen werden – in einem lokalen Kontext entsteht  kulturelle Vielfalt durch das Zusammenspiel lokaler Künstler – wenn Kunst von ihnen in verschiedenste Zusammenhänge eingebracht wird, entstehen neue Räume, entwickeln sich neue Lebensräume.   In der Ausstellung Vielfalt zeigen zwei  Künstler und eine Künstlerin  exemplarisch, auf  welch vielfältige Art und Weise ihre Arbeiten mit ihrem  politischen, beruflichen und privaten Engagement verknüpft sind. Grundsätzlich gilt: Die Ressourcen der Bilder sind unerschöpflich -  sie bieten dem Betrachtern  unendliche Möglichkeiten zum Wandeln und Verweilen an.  Steigen Sie mit und durch die Bilder in ihre eigene Welt ein,  entdecken die Lust am Sehen , am Denken und Fabulieren, lassen sie  für die Zeit ihres Ausstellungsbesuchs die Grenze zwischen Kunst und Leben verschwimmen.

 

Das „Politisch“ und „poetisch“ kein Gegensatz in der Kunst sein müssen,  lässt sich an den Arbeiten des Kürtener Künstlers Dietmar Noworzyn entdecken. Er hat sich sein Leben lang nicht nur mit unterschiedlichsten Techniken befasst, sondern sich auch gesellschaftspolitisch engagiert. Eine Ausbildung zum Dekorationsmaler und ein anschließendes Studium der freien  Grafik schufen die Grundlagen für eine Vita, die ihn als Tausendsassa ausweist: von der Fassadengestaltung von  Parkhäusern bis zum Firmenlogo, von der Gebrauchsgrafik bis zur Kunst hat er alles gemacht, was Geld bringt, um eine Familie zu  ernähren. Doch nicht nur in der bildenden oder der angewandten Kunst war er unterwegs – er  entwickelte auch Kreativkurse für Kindergärten, ein Projekt für die  Jugendvollzugsanstalt in Siegburg  oder gab bundesweit Grafikseminare. Ab 1985 leitete er in Leverkusen die Jugendkunstschule – 18 Jahre lang. Ende der siebziger Jahre war die Gründung der  Arbeitsgemeinschaft Leverkusener Künstler sein Werk und in den achtziger Jahren war er die treibende Kraft bei der Profilierung der  Galerie am Werk, die neben einer Ausstellung pro Monat auch ein veritables Kleinkunstprogramm an den Start brachte.  Einmischung ist für ihn eine erste Bürgerpflicht  -  als  Künstler wollte und will er sich das nicht abtrainieren lassen. Interessant ist, wie sich diese Einmischung ins Werk schmuggelt. Zerlegt man  Arbeiten von Dietmar  in einzelne Komponenten, stösst man auf   Symbolismus und Realismus - doch beide Richtungen sind zur bedingt geeignet, das Werk adäquat zu erfassen.  Holzschnitte gehören zu den  ältesten grafischen Druckverfahren und sind eine Urform des modernen Buchdrucks -  Holzschnitte sind durch ihre Geschichte und das  Ausgangsmaterial Holz  bestens geeignet,  Realismus und Symbolismus zu verbinden und offen besonders für einen expressionistischen Ausdruck. Dietmar Noworzyn hat sich für diese Technik entschieden, weil sie für ihn  die Möglichkeit des Scheiterns als Versprechen und Vergnügen bereit hält – im gesamten Herstellungsprozess kann stets etwas Unerwartetes, nicht Geplantes, nicht Vorhersehbares geschehen und den Druck prägen. Der Zufall –wenn man so will- ist in allen Phasen ein stets präsenter Koregisseur: schon die Wahl des Holzes, vorzugsweise nicht zu harzige Nutzhölzer  - nimmt Einfluss auf das Ergebnis und das Holzscheiden mit entsprechendem Schneidewerkzeug kann ebenso wie Drucken mit der Buchdruckpresse, wie der  Handabrieb oder der Bürstendruck misslingen oder scheitern.   "Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." Der große irische Schriftsteller Samuel Beckett hat mit seiner Vorstellung von »Besser scheitern« eine Idee in die Welt entlassen, die die fortgesetzte Anstrengung auf der Basis des kontrollierten und maßvollen  Scheiterns  höher bewertet als den Erfolg. 

 

Nehmen sie den teils skelettierten  Fisch,  der - seine Verwesung vom Schwanz her zeigt es offenkundig -schon lange  in einer gespaltenen Holzstele steckt. Ein rätselhafter Tod mit einer Vielzahl von Fragen – Woran ist der Fisch gescheitert? Wie kommt er in die Holzspalte? Wie konnte der Pfahl zur tödlichen Falle werden? War er zu naiv, zu wagemutig, zu verblendet die Breite des Spaltes im Verhältnis zu seinem Körperumfang richtig einzuschätzen? Ist er gescheitert an widrigen Umständen?  Hat ihn ein Unwetter überrascht ? Warum konnte er sich nicht mehr befreien?   Fragen über Fragen und erschwerend kommt hinzu, daß es möglicherweise nicht nur um den Fisch sondern direkt um den Künstler selbst geht. Folgen wir der Traumdeutung von C.G.Jung:  Kommt ein Fisch in einem Traum vor, so deutet dies immer auf die eigenen Emotionen hin. Das Traumsymbol des Fisches bedeutet immer auch eine Spiegelung des inneren Selbst des Träumenden. Für C.G. Jung war der Fisch im Traum stets das Sinnbild für das eigene Selbst. Ob der Künstler vom Fisch geträumt hat oder er das Ende des dicken Fisches im Zaunpfahl auf einer seiner Kanutouren gesehen hat  - wir wissen es nicht.

 

Lieselotte Radach und Dietmar Krause bilden eine Ateliergemeinschaft,  die für verschiedene  Spielarten und Wege abstrakter Malerei steht. Die gemieteten Räume in der ehemaligen Metallfabrik Rosenkaimer in Leichlingen sind nicht nur ein Rückzug- und Sehnsuchtsort, sondern als Atelier und Labor auch das Musterbeispiel einer selbstbestimmten Produktions- und Künstlergalerie. Das Künstlerpaar kommt in der Regel an jedem Mittwochnachmittag zusammen, um gemeinsam zu arbeiten. Mit unverfälschtem Blick, mit der Leidenschaft und mit der Freiheit, in der Kunst keinem Brotberuf nachzugehen, ist es ihr Ziel, sich mit dem Werk und den künstlerischen Ansätzen des anderen auseinanderzusetzen und sich über ästhetische Fragen auszutauschen. Ihre Kunstauffassung ist nicht von akademischen Lehrern geprägt. Für beide ist die expressive Abstraktion das übergeordnete Koordinationsfeld. Es kann auf unterschiedliche Weise bestellt werden – so steht die geometrische neben der lyrischen Abstraktion – andere Arbeiten sind  vom  abstrakten Expressionismus inspiriert wie beispielsweise der Einladungskarton dieser Ausstellung - eine ausdrucksstarke und  farbenfrohe Arbeit von Lieselotte Radach.
Wie bei den abstrakten Expressionisten kann die Farbe an sich und der Farbauftrag das Thema sein. Im Malakt  werden Gefühle wiedergegeben, die mit Hilfe freier Assoziationen auf das Blatt gebracht werden. In ihrer Malerei tauchen oft Linien, Striche, Rechtecke auf , die jedoch nur in den seltensten Fällen eine Struktur ergeben. Gerne löst sie diese Strukturen auf wieder auf und mitunter scheint es, als ob diese rechteckigen Strich-und Linienbündel – die eine abtrahierte Straßensilhouette bilden könnten -einen letzten Rest von Wirklichkeit andeuten. Ein Vergnügen ist es, in ihrer Malerei dem Verhältnis von Kalkül und Zufall, von Struktur und der Auflösung von Strukturen nachzugehen. Schnell entdeckt man bei diesen Betrachtungen, wie nahe die abstrakte Malerei mit ihren Themen an unserem Leben ist, das sich irgendwo zwischen Planung und Schicksal, zwischen Absicht und Zufall entwickelt, und immer wieder eigene, neue Wege findet.  Sehr schön läßt sich in den Arbeiten zeigen, daß das große Feld abstrakter Malerei noch immer lose Beziehungen zur Gegenständlichkeit, zur Realität unterhält und das Gemalte nicht ausschließlich auf Form- und Farbklänge und ihre innerbildlichen Bezüge und Gegensätze zu beschränken ist. Unser Sehen und Verstehen in hohem Maß abhängig von unserem Wissen, von unserer Bereitschaft und unseren  Möglichkeiten zu sehen und zu erfahren. Bilder wie die von Lieselotte Radach lösen Gedanken, Gefühle und Erinnerungen aus und wir sind gerne bereit,  in diese eigene Welt einzutauchen und darin zu spazieren – nicht zuletzt um mehr über uns selber zu erfahren. 
So treten wir auch vor die Bilder unseres dritten Künstlers. Ob die Industrie und Naturlandschaften von Dietmar Krause auch Seelenlandschaften sind , muss jeder Betrachter selbst entscheiden. Sie wirken auf den ersten Blick wie  Bühnenbilder – atmosphärisch dichte, stimmungsvolle Impressionen einer Welt, die in einem ganz eigenen Lebensrhythmus schwingt. Der Maler blickt frontal, mitunter aus der Vogelperspektive in menschenleere Räume in einem  leicht gespenstischen  Einheitslicht. Irritierend ist die Verknüpfung von Raum und Fläche. Räume scheinen sich in Flächen und Striche aufzulösen. Man meint in eine Industrielandschaft zu blicken  -  vielleicht eine Hängebrücke, einen Großraumbagger, Schornsteine oder Produktionsstätten der Großchemie zu erkennen –ist sich aber nie sicher, ob es sich vielleicht nicht nur um reine Malerei handelt, die sich am Strich,  an der Farbe oder an der Komposition erfreut. Scheinbar zur Ruhe kommt diese Malerei bei winterlichen Waldspaziergängen – vier Bilder in unterschiedlichen Ausschnitten zeigen Waldstücke unterschiedlicher Größe. Das Ensemble ist  geeignet eines der schönsten Liebesgedichte J.W.v.Goethes zu illustrieren,  in dem der von Absichten befreite Waldspaziergang  als Grundlage, als Basis erfüllter Liebe vorkommt:   Ich ging im Walde / So für mich hin,/ Und nichts zu suchen,/ Das war mein Sinn. Der Meister lehrt und: Wer sich mit solchem Sinnen in der Welt bewegt, dem wird geholfen werden. Ob im Wald oder bei einem Bilderspaziergang bei Dietmar Krause spielt dabei keine Rolle.
Freuen wir uns an Künstlern, die bei aller Vielfalt doch auch einige Gemeinsamkeiten haben – so spielt der Zufall in ihren Arbeit eine große Rolle oder sie selbst gestalten ihr Leben als anhaltende Suche. Die Suche macht Künstler zu Abenteurern, zu Menschen, die sich in neuen Zusammenhängen erfahren und erproben wollen.  Nicht zuletzt ist für sie alle die Kunst auch eine letzte Zuflucht vor der Wirklichkeit – und so erzählen sie alle sehr viel über unsere Gegenwart.

 

Kunst  entfaltet ihre Kraft immer dann am stärksten, wenn sie sich nicht an Tagespolitik klammert und Bilder  entstehen, die dem Betrachter an Herz und Seele gehen, die an den Verstand appellieren, Gefühle freisetzen und  emotional berühren. Auch dies ist in weitestem Sinn politisch  – jedoch frei von engen Zweckbestimmungen,  ohne große vorgefertigte Erwartungen und Ansprüche. Vielmehr gelingt es gerade der Malerei, das  Grundsätzliche, Typische , Unabänderliche und Einmalige aufzurufen - das zu zeigen, was gleich bleibt -  was uns tief berühren und aufzustören versteht.

 

Ich wünsche der Ausstellung viele Besucher und  sondern den Machern in der Stadt eine glückliche Hand, die kulturelle Vielfalt zu erhalten und weiter engagiert auch über den eigenen Tellerrand zu blicken.